I N M E M O R I A M
Zum Tode von Marion Gräfin Dönhoff
Von Helmut Schmidt
© Klaus Kallabis
Als junge Frau hatte Marion Dönhoff teil an dem patriotischen Entschluss zu Hochverrat und Tyrannenmord. Mit dem Fehlschlag, mit der Entwürdigung und der Hinrichtung der meisten ihrer Freunde ist ihr erstes Leben zu Ende gegangen. Als eine der letzten Überlebenden des Widerstandes gegen den Verderber Hitler ist sie bis zuletzt für viele Menschen, draußen in der Welt und ebenso bei uns zu Hause, ein Symbol des aufgeklärten, anständigen Deutschlands gewesen. Jedoch die große Verehrung, die ihr als einer unanfechtbaren moralischen Instanz entgegengebracht worden ist, hatte einen zweiten Grund in ihrer stupenden journalistischen Leistung im Laufe ihres zweiten Lebens, nämlich des halben Jahrhunderts bei der ZEIT in Hamburg.
Mein erster Brief an Marion Dönhoff stammt aus dem Jahre 1957. Sie hatte in der ZEIT den Sozialdemokraten Herbert Wehner gegen üble Verunglimpfungen verteidigt; ich hatte ihren Artikel gelesen und dankte ihr: für "Klarblick, Herz und Zivilcourage". Jene kleine Episode ist typisch: Weil sie die Verletzung der Würde eines Mitmenschen erkannte, trat sie für ihn ein - obschon das damals bei vielen auf Widerspruch stoßen musste.
Ein wichtigeres Beispiel für ihren Klarblick und ihre Zivilcourage war Marion Dönhoffs Eintreten für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige Ostgrenze Deutschlands. Wer ihre sechs Essays über die Menschen und die Geschichte Ostpreußens gelesen hat, zusammengefasst unter dem Titel Namen, die keiner mehr nennt, wer dieses bewegende Buch und die Liebe der Autorin zu ihrer ostpreußischen Heimat wie ebenso zum wohlverstandenen Preußentum auf sich wirken lässt, der kann die moralische Leistung Marion Dönhoffs ermessen, die im Willen zur Anerkennung der neuen Grenze begründet war. Heute ist es leicht einzuräumen, die bisherige Geschichte habe ihr Recht gegeben. Damals jedoch war die Mehrheit der Deutschen dagegen.
Ihre innere Unabhängigkeit hat ihr kluge Einsichten ermöglicht, die sie mit Tapferkeit vertreten hat. Unter dem Primat des Grundwertes der Würde und der Freiheit der einzelnen Person hat sie ihre Leser in jeder Streitfrage auf die anderen Grundwerte der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit orientiert - ob sie über Europa schrieb oder über die Lage der Schwarzen zur Zeit der Apartheid, über die Lage der Dissidenten in der Sowjetunion, über deutsche Innenpolitik - zum Beispiel über die Notwendigkeit der Versöhnung unter den Deutschen - oder über die andere Notwendigkeit, den "Kapitalismus zu zivilisieren".
Marion Dönhoff hielt konservativ an ihren Werten fest, zugleich war sie liberal und tolerant. Aber sie hat immer gewusst: "Ob jemand Muslim, Christ oder Hindu ist - vielleicht auch Atheist - wichtig ist: da gibt es etwas Höheres. Der Mensch ist nicht die letzte Instanz." Marion Dönhoff hat festgehalten an ihrer Einsicht, dass wir uns moralisch nicht auf uns selbst verlassen dürfen, sondern dass Würde und Freiheit des Menschen der Bindung nach oben bedürfen.
Sie hat immer wieder ein gutes Beispiel gegeben, in ihrem privaten wie im öffentlichen Leben. Sie hat - ganz anspruchslos - Führung ausgeübt wie selten ein politischer Journalist und Autor in Deutschland. Und dies, um den Amerikaner Fritz Stern zu zitieren, "... zugleich mit preußischer Strenge und zugleich mit menschlicher Wärme." Richard von Weizsäcker hat über sie gesagt: "Ihre moralischen Grundsätze sind ebenso menschlich wie eindeutig. Ihr politisches Urteil hat den langen Atem der Geschichte. Die Bescheidenheit stammt aus dem alten Preußen, die Bildung aus Europa, der Common Sense aus der Erfahrung in der Welt." Beide Freunde haben Recht.
Für die ZEIT war sie ein großes Vorbild. Die Deutschen haben eine wegweisende Mitbürgerin verloren.
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Zum Tode von Marion Gräfin Dönhoff (German Text)
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Marion Gräfin Dönhoff
There might be another side to the late Gräfin. In the German "right-wing press" e.g. Die National Zeitung, Marion Gräfin Dönhoff was usually described as a "left-wing opinion molder" (linke Meinungsmacherin), principally because of her position (Herausgeberin) with the influential newspaper Zeit. Older East Prussians (particularly those from her social class) remember her as very pro-Soviet prior to World War II, although at the end of the war she fled East Prussian on horse back to escape the ravages of the advancing Red Army. As those who were old enough to be aware of her activities during the Hitler years and of her overtures to the Communists in the postwar years die off, she has gained in stature with the younger generation in present day Germany. Although a highly educated, somewhat refined lady, and very sincere, some of her detractors earnestly believe she was not above distorting facts to advance her political views. This seems particularly true in her support of the distortions of Hermann Rauschning.
Re: Marion Gräfin Dönhoff
[Edited, 9/15/02]
Last edited by Anantya on 15 Sep 2002, 15:20, edited 1 time in total.
Marion Gräfin Dönhoff
After reading the Helmut Schmidt tribute to Marion Gräfin Dönhoff, I downloaded it together with several pages from Amazon.de which described some of her writings. I presented these items to an elderly family friend, the daughter of a non-political General, an OKW member, who had served both Kaiser Wilhelm II and Chancellor Hitler. I thought our family friend would find these items of interest as she was also from an old East Prussian family who had fled from the Soviets in 1945. Although in her late 80s she is exceptionally bright and is a walking encyclopedia of the Third Reich era. Neither she nor her family had any National Socialist sympathies. Her father served his country not a political party. From the Machtergreifung on our friend personally had a strong visceral antipathy to the Hitler regime and this seems to have increased with the passage of time. She is my principal source. If I understood her correctly, in the 1930s no one in their circle took Dönhoff seriously. Interestingly the Soviets did not openly reciprocate. Dönhoff's political leanings and some of her activities are adumbrated in Prominente ohne Maske (1984) and Prominente ohne Maske 2. Band (1986), FZ Verlag, München.